Bericht: Sturm und Stress in der Themse-Mündung – Sommer an der englischen Ostküste

(23.09.2018 DE) Im vergangenen Jahr 2017 sind wir mit unserer Ballad „Fliegender Stern“ wieder nach England gereist*. Um uns auch erholen zu können und aus Sicherheitsgründen sind wir wieder ausnahmslos Tagestörns gesegelt.

 

* (zuletzt 2009, siehe Reisebericht auf www.ballad.de/download).

Den ganzen Bericht von Klaus Lange und seiner 'FLIEGENDER STERN' könnt Ihr auch unter dem folgenden Link finden:

Initiates file download Bericht als PDF

Gruss

Jörg

für Ballad.de

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Um Bilder aus dem Artikel (zB die Seekarten) in GROSS zu sehen, bitte auf die separaten Bilder klicken.

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Sturm und Stress in der Themse-Mündung – Sommer 2017 an der englischen Ostküste                 

Im vergangenen Jahr 2017 sind wir mit unserer Ballad „Fliegender Stern“ wieder nach England gereist (zuletzt 2009, siehe Reisebericht auf www.ballad.de/download). Um uns auch erholen zu können und aus  Sicherheitsgründen sind wir wieder ausnahmslos Tagestörns gesegelt. Die dabei maximal zurückgelegte Distanz betrug 62 sm in über 12 Stunden. Insgesamt waren es 54 Reisetage, davon 15 Hafentage – überwiegend wegen der im Sommer 2017 häufigen Sturm- und Regentage. Jörg Wille hat dankenswerterweise die besuchten Häfen und die Törns kartiert:

Einen umfänglichen und möglicherweise etwas langatmigen Reisebericht mit Wiederholungen wollten wir vermeiden. Wir wollen stattdessen über zwei besondere und stressige Törns berichten und unsere Erfahrungen dazu weitergeben. Einige  Eindrücke vom Inselbesuch sollen das ergänzen; wir machen weite Reisen ja nicht nur, um uns auf langen Törns herauszufordern oder gar zu quälen – wie böse Zungen behaupten könnten.

Einen ersten Törn-Bericht haben wir schon Anfang 2018 geschrieben. Er ist nachzulesen auf www.ballad.de im Downloadbereich unter dem Titel Stress im Watt: Navigationsprobleme im Bereich der Oster-Ems haben uns zwar mächtig irritiert und genervt – aber die Passage über das Wattenhoch nach Delfzijl konnten wir schließlich mit zeitlicher Verspätung ohne Festkommen im Watt beenden.

Mit den anschließenden Kanalfahrten auf der „Staande Mastroute“ haben wir allzu frischen Westwind auf der Nordsee vermieden. Für die Passage von Ijssel- und Markermeer, die Querung von Maas- und Scheldemündung und schließlich des Ärmelkanals konnten wir jeweils passenden Wind abwarten.

Ausflug zum BREXIT

Jedenfalls erreichten wir am 17. Juli  - nach 22 Reisetagen - ohne irgendeine Grenzkontrolle Dover auf der britischen Insel.  Der BREXIT war ein Thema und ein Motiv unserer Reise. Wer weiß schon, wie die Grenzkontrollen in den nächsten Jahren gehandhabt werden? Dann lieber jetzt noch hin!

Schon in Ijmuiden war uns der Brexit als „Werbethema“ begegnet: Ein Flyer für den vom International Yacht Club Amsterdam ausgeschriebenen 19. Challenge Cup von Ijmuiden nach Lowestoft und zurück  war etwas reißerisch aufgemacht: „The last challenge before BREXIT“.

In Dover begegnete uns dann eine Fassadenmalerei, die an der Hafenzufahrtstraße  Richtung Hafen signalisiert, wie eines der zwölf EU-Sternchen vom Handwerker auf der langen Leiter ausgehöhlt und weggeklopft wird. Eine subtile Form des Bedauerns? Dover hatte sich mehrheitlich für den Verbleib in der EU und gegen den BREXIT entschieden! ( Ein Dank geht an unsere Nachbarin Christine Beck für die Überlassung des Fotos von der Fassadenmalerei.)

 

Die fotografierten Bauschilder kündigen die Umgestaltung weiter Hafenbereiche der Stadt an, die Hovercraft-Fähren sind längst außer Betrieb und brauchen keine Flächen mehr. Fährschiffe, einzelne Kreuzfahrtschiffe und Yachten dominieren. Die Bauschilder weisen noch auf Förderung durch die EU hin. Welche Komplikationen werden sich allein hier mit dem Brexit ergeben?

Wir hatten später ein ausführliches Gespräch mit einem pensionierten Ingenieur, Bootseigner und Gegner des BREXIT, der uns erklärte, warum  „Vote Again“ kaum Aussichten auf Erfolg haben würde.

Böse Überraschung zwischen Ramsgate und Harwich - eine Sturmwarnung kommt zu spät:

Dauerhaft süd-westliche Winde – aber auch unsere Vorliebe für die Ostküste – für Essex und Suffolk insbesondere - führten uns in nördlicher Richtung über 18 Meilen nach Ramsgate, dann sollte es weiter nach Harwich gehen.

Am 25. Tag unserer Englandreise 2017 - am 20. Juli - verließen wir den Royal Harbour Ramsgate mit dem Ziel der Überquerung der Themse-Mündung nach Harwich am River Orwell.

Unser Plan: Der Wetterbericht hatte Wind aus Süd-West mit 4 -5 Bft. vorhergesagt. Wir hatten uns  daher  für  das Großsegel und die kleine Genua 3 entschieden.Unser Kurs würde zunächst in nördlicher Richtung verlaufen, durch das Fisherman`s Gat über den Long Sand hinweg in nordwestlicher Richtung und dann durch das Black Deep zwischen Long Sand und Sunk Sand in nordöstlicher Richtung. Am Sunk Head Tower wollten wir „abbiegen“ zur Medusa Tonne, um dann durch den Medusa-Channel in nördlicher Richtung in die Orwell-Mündung zur Shotley Marina zu gelangen.Bei der angesagten Windrichtung und -stärke,, – über insgesamt ca. 47 sm, größtenteils durch die Tide unterstützt - sollte das für uns gut machbar sein – auch wenn die Themse Mündung nicht den allerbesten Ruf hat: Im Laufe von Jahrtausenden hat die Themse ziemlich viel Sand in den Mündungstrichter gespült und infolge kräftiger Tidenströmungen ist ein Delta mit gerichteten Sandbänken und tiefen Rinnen dazwischen entstanden. Jahrhundertelange Bemühungen um verbesserte Erreichbarkeit von Landon mit schwer beladenen Schiffen dürften hinzugekommen sein. Die anliegend eingefügte Karte ist dem Buch von Roger Caspar „Crossing the Thames Estuary“ entnommen. Es zeigt und beschreibt vielfältige Querungsmöglichkeiten. Die von uns geplante Route ist schwarz markiert. Leider war dieses Buch mit seinen Karten in Hamburg geblieben. Die uns schließlich aufgezwungene Route in nördlicher Richtung wird hier als eine mögliche Route für Yachten kartiert.

Diese Erkenntnis hätte uns einige Sorgen erspart.

Unser Törn: Wir starten um 8.25 Uhr. Im Schutz der Küste kommen wir bei SSW 4  gut voran, erreichen um 9.02 Uhr nach ca. 3 sm die Tonne Broadstairs Knoll.  Aber schon ab 9.30 Uhr befinden wir uns in einer Flaute bzw. in leichten Brisen aus wechselnden Richtungen und nehmen von 10.07 Uhr bis 11.00 Uhr Motorunterstützung dazu. Um 11.00 Uhr haben wir die Tonne Outer Fisherman erreicht, können jetzt bei frischer Brise auf den Motor verzichten und passieren bis 11.50 Uhr mit KK 300 Grad das Fishermans Gat. Nach einer Halse  laufen wir weiter durch das Black Deep in NE-licher Richtung. Der Strom schiebt ablaufend noch kräftig mit.

Ab 12.25 Uhr beobachten wir das rasche Aufziehen einer (vermeintlichen) Gewitterfront von Westen her, der Wind legt kräftig zu und springt um auf West. Wir halsen zurück im Wege einer „Kuhwende“. Wir nehmen an, dass die Gewitterfront schnell durchziehen wird und verzichten daher  auf Verkleinerung oder Bergen unseres Großsegels. Keine gute Entscheidung, wie sich zeigen sollte.

Schon wenig später - der Wind ist inzwischen weiter auf WNW umgesprungen und bläst uns jetzt stürmisch mit Bft. 8 entgegen - scheinen uns solche Manöver  zu gefährlich: Für die Bedienung des Großfalls und für die Öffnung der Rutscherschiene im Mast müßte einer von uns das Cockpit verlassen; mit dem Kicker allein (ohne Dirk) würden das gefierte Regattagroßsegel und der entsprechend tiefstehende Großbaum schlagend kaum zu kontrollieren sein.

Um den Druck des Windes und Schräglage zu vermindern,  segeln wir mit geöffneten Schooten und teils killenden und knatternden Segeln weiter, passieren Sunk Head Tower mit reichlich Abstand etwa um 13.30 Uhr. Unser Zwischenziel Medusa-Tonne in westlicher Richtung haben wir notgedrungen aufgegeben: Bös bremsender steiler Seegang mit brechenden Kämmen (die Tide war inzwischen gekentert und lief jetzt Richtung Themse und Orwell gegen den Wind) und der stürmische Wind machten ein  Aufkreuzen (nahezu) unmöglich.

Wir brausen stattdessen mit hohem Speed intensiv salzwasserumspült und -überschüttet Richtung Norden, über die Reede Inner Sunk hinweg auf die nicht grundlos so benannten Rough Shoals zu. Ein großes Frachtschiff liegt auf der Reede vor Anker. Wir müssen abfallend ausweichen. Eine Segelyacht – weit in Luv – scheint mit flatternder Rollgenua zu kämpfen. Wir haben reichlich eigene Sorgen mit der Kontrolle von Kurs und Segeln und sausen weiter. Unsere Imray-Karte C 30 (oben mit Kurslinie eingescannt) im Maßstab 1 : 200 000 ist zwar frisch, aber doch etwas ungenau. Teils nur 4.50 m Wassertiefe, das ist hier draußen arg wenig. Unser Kartenplotter mit C-MAP hilft uns natürlich auch, die Wassertiefen sind aber mit allzu kleinen Zahlen leider nur schwer lesbar. Auch die Kommunikation zwischen Navigatorin am Kartentisch unten und Rudergänger im Cockpit oben ist bei lautem Getöse und Stress mal wieder schwierig.

Um 15.40 Uhr passieren wir schließlich die Rough Towers, auch hier können wir den engen Bezug zwischen den Gebietsbezeichnungen in der Karte und dem aktuellen Seegang feststellen. Per Revierfunk auf Kanal 11 erfahren wir erst jetzt, daß ab 13.30 Uhr eine Gale Warning 8 Bft. für die Themse - Mündung ausgesendet wurde. Kann man das noch eine Vorhersage nennen? Wir brausen weiter unseren nördlichen Kurs, passieren endlich das Harwich-Fahrwasser.  Um 16.10 Uhr kommen wir schließlich bei Cutler/Woodbridge Haven mit nachlassendem Sturm soweit unter Landschutz, daß wir das Großsegel bergen können. Nach einer Wende laufen wir Richtung Harwich, der Wind beruhigt sich weiter, flaut ab, schließlich brauchen wir Motorunterstützung! Um 18.00 Uhr konnten wir dann nach 53,1 zurückgelegten Seemeilen und 9 ½ Stunden Segelei die Schleuse zur Shotley-Marina passieren und dort ziemlich erledigt und erschöpft festmachen. Seefahrt ist nicht immer lustig!

Eine vermeintliche Gewitterbö hatte sich unversehens zu einem dreistündigen heftigen Sommersturm aus WNW entwickelt und uns einen etwas abenteuerlichen Kurs aufgezwungen.

Es ergaben sich für uns die nachfolgenden Konsequenzen für Ausrüstung und Handling:

• Wir besorgten umgehend eine genauere Seekarte in Ipswitch.

• Zukünftig werden wir bei Anzeichen eines Sturmes im Tourenmodus die Segelfläche rechtzeitig verkleinern, zugleich Überlegungen zu Alternativrouten (Plan B) anstellen. Es war nicht das erste Mal, daß mit Gewitter oder Sturm ein Umspringen des Windes passierte!

• Wir  überprüfen die Reffeinrichtung, das Reffen wollen wir auch häufiger üben.

 

Auf den Sturm folgt Entspannung / River Orwell und River Deben:

Jetzt hatten wir uns einen Hafentag zur Erholung verdient: Ausschlafen; den Betrieb am Containerterminal Felixstowe und die Schiffahrt auf dem River Orwell beobachten (das Ein- und Auslaufen ist hier durch enge Radien des Fahrwassers für die großen Containerschiffe mindestens so schwierig wie auf der Elbe); eine Wanderung auf dem Public Footpath flußauf durch die Shotley Marshes bis zur St. Mary`s Church mit dem Commonwealth-Graveyard: einer großen Anzahl meist sehr jung gefallener Marinesoldaten wurde dort oben in sehr schöner Lage eine letzte Ruhestätte mit Ehrenmal errichtet. Unsere Rückwanderung nach Shotley führt uns zum „EAST COAST RETROS/CLASSIC CAR MEET“, einem monatlichen Treffen von zahlreichen Oldtimer-Fans (s.a. Opens external link in new windowhttps://www.youtube.com/watch?v=yxTMEGrE0Hg ) und zum Feierabendbier im Hafenpub.

Weitere erholsame Tage in Suffolk am River Orwell und in Woodbridge am River Deben folgten: Freundliche Hafenmeister und Bootsnachbarn, wundervolle tidenbewegte Flüsse mit Sand- und Schlickbänken, mit vielen vermurten Booten, mit urigen Wäldern, Teichen, Wiesen und Feldern, einsamen Cottages und bescheidenen Siedlungen an den Ufern. Die Hafenstädte Ipswitch und Woodbridge und auch Burnham-on-Crouch träumten von vergangenen oder besseren Zeiten – besonders an komplett verregneten Sommerwochenenden.

River Orwell – Ramsgate:

Den Törn nach Ramsgate zurück haben wir uns dann in zwei Etappen aufgeteilt: Wir sind zusammen mit der belgischen Yacht „Bolderik“ vom Suffolk Yacht Harbour am River Orwell über 34 sm nach Burnham-on-Crouch gesegelt, von dort dann über 50,5 sm zurück nach Ramsgate. Wind überwiegend aus SSW mit Bft. 3 – 4 und Sonnenschein erlaubten uns diesmal Überfahrten ohne Stress.

 

Das nebenstehende Foto vom „Fliegenden Stern“ von Bord der „Bolderik“ dokumentiert Sommerwetter und leichte Brise, aber den Einsatz der Genua III! Bei genauerem Hinsehen wird auch die intensive Windkraftnutzung in der Themsemündung deutlich. „Rätselhafte“ Kabbelungen, Kreuzseen und anderer strömungsinduzierter Seegang begegnen uns im Knock Deep bei Outer Fisherman. Ähnliches wird uns auch auf der Elbe zunehmend geboten!

 

Abschließend mögen einige Fotos die Strandpromenade und die Albion Place Gardens von Ramsgate zeigen. Der miese Sommer 2017 erlaubte auch in Ramsgate nur sparsame Badefreuden. Die Albion Place Gardens liegen direkt oberhalb des Royal Harbours. Mitten in der Stadt wurde hier 1893 ein wunderschöner romantischer Landschaftsgarten gebaut: mit Blumen, Büschen und Bäumen, felsiger Schlucht, Wasserfall, Brücke, Teich und Höhlen.

Am 2. August verlassen wir die britische Insel mit dem Ziel Dünkirchen. Nach 8 ¾ Stunden  und 47,4 Seemeilen treffen wir dort ein. Das waren 15 Tage auf der Insel bei 54 Reisetagen insgesamt – diese Relation wirkt etwas unmodern!? Aber der Weg – einschließlich stressiger Törns - war eben auch unser Ziel!

Ulrike Gebauer und Klaus Lange, Hamburg im Juni 2018