Sommerreise 1997, einmal England und zurück.

Autoren: Ulrike Gebauer & Klaus Lange, Albin Ballad - "FLIEGENDER STERN" GER 1360, 1996.

Ein Reisebericht von Ulrike Gebauer & Klaus Lange, die mit Ihrer "Fliegender Stern" nach Sued-England segelten.

1974 hatten anhaltende stürmische West- winde mit den berüchtigten kurzen und steilen Seen auf der Nordsee dazu geführt, dass mein Bruder Georg und ich unsere England-Pläne schon in Amsterdam aufgeben mussten: Unser 6,50 m langer Kielkreuzer vom Typ Golif schaffte weder genug Höhe noch Geschwindigkeit, und die Navigation stellte uns (etliche Jahre vor Anbruch des GPS-Zeitalters) z.T. unlösbare Aufgaben. Das Fernziel England war seither unerfüllt geblieben, aber nicht vergessen. 1997 wollten wir einen neuen Versuch starten. Ein besseres und längeres Schiff vom Typ Albin Ballad, verbesserte Ausrüstung (das GPS war jetzt erfunden!) und hoffentlich günstigere Wetterbedingungen sollten uns diesmal helfen . Der erste Teil der Reise vollzog sich ab dem 19. Juli in der "klassischen" Originalbesetzung mit Bruder Georg: Start vom Yachthafen Wedel, als nächste Stationen Oste-Mündung, Borkum, Nes auf Ameland, Vlieland, Den Helder, Ijmuiden und Scheveningen. Überwiegend sonniges Badewetter und etliche Spinnakertörns machen die Reise an den Ost- und Westfriesischen Inseln entlang erholsam und vergnüglich. Allein die letzte Etappe nach Scheveningen bringt bei WSW 7 reichlich Feuchtigkeit für Schiff und Mannschaft mit sich. Dabei war Stärke 5 Â’decreasingÂ’ angesagt, aber auch bei Stärke 7 machen wir mit der kleinen Genua allein gute Fahrt und gute Höhe. Scheveningen war ausgesucht fur den Mannschaftswechsel: Straßenbahn nach Den Haag und gute direkte Zugverbindungen nach Hamburg. Georg steigt aus, Ulrike steigt ein, die Stimmung steigt, weiter.

Nach kurzer Trockenpause gehtÂ’s weiter in die Scheldemündung nach Stellendam und dann nach Vlissingen. Landschaftlich gesehen bieten die Küsten hier wenig: Langgezogene Dünenketten und Strände, von Zeit zu Zeit durch schmucklos Seebäder mit Promenaden und Hochhausbebauung unterbrochen, dann Deiche, Sperrwerke und Schleusen. Nur einig wenige markante Leuchttürme oder Bohrinseln. Alles in allem zu viel Beton für uns, verwöhnte Elb- und Ostseesegler. Von Vlissingen gehtÂ’s über Blankenberge nach Nieuwpoort (beide in Belgien). Seit Vlissingen haben wir auch wieder reichlich Segelyachten um uns herum. In. Nieuwpoort endlich treffen wir nach etlichen Telefongesprächen mit seiner Mutter zwecks ”Standortaustausch” auf unseren holländischen Mitsegler Simon van Elk, der zusammen mit Frau Anne-Lies bereits einen Monat Urlaubssegelei mit der Ballad „Balans” in dieser Region hinter sich hat. Beide verhelfen uns zu netten Begegnungen mit vegetarischer Bordkost (indonesischer Prägung) in Verbindung mit unterhaltsamen Klönabenden (holländisch-englische Seekriege, Balladen-Infos, Tratsch und Revierkunde, alles auf englischdeutschholländisch). Ulrike verspürt Rücksegelgelüste wegen der monotonen Küste, aber Simon und Anne-Lies locken und überzeugen uns schließlich. Wir entscheiden uns zu gemeinsamer Passage nach Dover!

Sonniges Wetter mit leichter Brise aus nördlicher Richtung erlaubt uns eine bequeme Fahrt zunächst im betonnten küstennahen Fahrwasser an Dünkirchen vorbei, bis wir schließlich von der westlichen Ansteuerungstonne Dünkirchen an mit Kurs 260Â’ die Straße von Dover überqueren. Beide Schiffe laufen prima und wir haben gute Sicht. Trotzdem ist die Einschätzung der full-speed-laufenden Großschifffahrt und der Fähren schwieriger als auf der Elbe. Um 17.00 Uhr erreichen wir die Goodwin-Sands, wenig später ist der lang ersehnte Moment gekommen: wir können die berühmten Kreidefelsen sehen! Ein toller Augenblick, ein überwältigendes Gefühl. Aber wir müssen schnell genießen. Der erste britische Nebel hüllt die Insel bald vollständig ein. Nach UKW-Funk-Anfrage an Dover Port Control und nach Erlaubnis zur Einfahrt laufen wir in den Hafen von Dover ein. Die erste Erfolgsmeldung vom Eiland geht natürlich an Georg nach Hamburg! In den nächsten beiden Tagen erkunden wir ausgiebig Dover: Dover-Castle, Pubs und Buchläden und polieren im Kontakt mit den Engländern unsere Sprachkenntnisse auf. Bei Windstärken 5 - 7 waren diese Hafentage sowieso empfehlenswert.

 

Am 6. August verlassen wir bei ausreichend gestiegenem Wasser zusammen mit mehreren anderen Yachten (englisch, holländisch und deutsch) den Dockhafen von Dover (wieder mit Erlaubnis zum Verlassen des Hafens über UKW) und queren bei NO Stärke 4-5 die Straße von Dover. Ein heftiges Gewitter (ohne Gewitterbö bei fast tropischer Temperatur) vor Calais trennt uns vorübergehend von der ”Balans”. Nach 5 ½ stündiger Überfahrt laufen wir in den Hafen von Calais ein - auch hier nach funktelefonischer Anfrage und nach Wartezeit wegen auslaufender Fähre.

Wir verpassen die Schleuse in den Dockhafen um wenige Minuten und müssen deshalb an einer Mooring im Außenhafen festmachen. Zum Abendessen holt uns Simon mit dem Schlauchboot- ”Taxi” ab. Die Vorratskisten der ”Balans” sind anscheinend unerschöpflich. Nachts steht ein kräftiger Schwell in den aus NO-licher Richtung ungeschützten Hafen, und die Fährschiffe rummeln, poltern und leuchten permanent. Wir haben selten so unruhig geschlafen! Am nächsten Tag bringt uns Wind aus NO 3-4 in 7 ½ Stunden wieder nach Nieuwpoort in Belgien, an den beiden folgenden Tagen sehen wir wieder Blankenberge, die Westerschelde und den Kanal d. Walcheren. Unsere holländischen Freunde lotsen uns in das schöne Städtchen Middelkerke. Heute liegt diese Stadt binnen, informiert uns Simon. Eindeichungen und Landgewinnungsmaßnahmen der Bewohner der Scheldeinseln haben den direkten Zugang zu Schelde und Nordsee verbaut. Das Veerser Meer und der Abschlussdeich der Oosterschelde sind weitere Zeugnisse der Wasserbauingenieurkunst, die uns am nächsten Tag begegnen: Das Veerser Meer ist ein mit Damm bzw. Schleuse von Nordsee und Oosterschelde abgeschotteter Altarm. Es ist jetzt strömungsfrei und mit Inseln, Stränden, Yachthäfen und auch Campingplätzen und Waldgebieten zu einem schönen - allerdings auch intensiv genutztem - Freizeit- und Erholungsgebiet ausgebaut. Wir erreichen über die schon angesprochene Schleuse die weite Oosterschelde. Ostwind mit Stärke 4 - 5, und die ablaufende Tide schieben ”Balans” und ”Fliegenden Stern” schmetterlingsmäßig mit jeweils ausgebaumter Fock mit klönenden Besatzungen scheldeabwärts bis vor die in den Abschlussdeich eingebaute Roompotsluis. Im angrenzenden Binnenhafen machen wir im Päckchen fest und feiern Abschied: Anne-Lies und Simon haben noch einen beneidenswert stattlichen Urlaubsrest und wollen binnen weitersegeln, wir haben es doch um einiges weiter bis nach Hause und etwas eiliger. Nach langen Abschiedswinken schleusen wir am nächsten Morgen aus und können bei 4 - 5 Windstärken aus östlicher Richtung endlich mal wieder unseren heißgeliebten Spinnaker setzen (”Balans” hat noch keinen und so verzichteten wir wohl oder übel auch). Mit ordentlichem Tempo sausen wir durch die Oude Roompot und den Geul van de Banjaard. Hier draußen vor der Küste begegnen uns nur noch recht wenige Segler. Nach Funkanmeldung und offizieller Erlaubnis queren wir Maasmond, das nach Europort und Rotterdam führende Fahrwasser. Gut, das uns auf der Elbe solche nervigen Prozeduren erspart bleiben! Nach 50 Seemeilen erreichen wir Scheveningen. Wir haben wieder prima warmes und sonniges Wetter, leider ist es zeitweilig etwas flau.

Wir arbeiten uns der Küste entlang nach Norden vor. An den Stränden und auch auf dem ”Fliegenden Stern” ist heftiger Badebetrieb zu verzeichnen. Erst ab einer Geschwindigkeit von 5 Knoten wirdÂ’s auf unserer Badeleiter etwas ungemütlich und das Wiederanbordkommen schwierig. Abends flaut der Wind ab und vom Kentern der Tide an ist mit Segeln allein nicht mehr voranzukommen. Dicht unter der Küste - bei 3 m Wasser - fällt unser Anker. Wir bewundern einen tollen Sonnenuntergang wie aus dem Bilderbuch. Der Badebetrieb am Strand ist noch weit genug weg, die sanfte Brise vom Land her lässt auf eine ruhige Nacht hoffen.

Aber es kommt anders: Um drei Uhr nachts lässt uns kräftiges Dieselgebrumm aufschrecken. Wir trauen Ankerlaterne und Radarreflektor nicht und versuchen, mit dem Handscheinwerfer auf uns aufmerksam zu machen. Reichlich spät antwortet ein Scheinwerfer von der Gegenseite. Wir sind erst mal beruhigt. Eine Dreiviertelstunde später gehtÂ’s wieder los. Die beiden großen Fischkutter kommen offenbar zurück und halten dieses Mal direkt auf uns zu! Im letzten Moment und nach inzwischen verzweifelten Handscheinwerfersignalen drehen sie ab und kurren glatt 20 - 30 m neben uns den Badestrand längs. Wehe, wenn da einer (ohne Handscheinwerfer) badet! Oder vor Anker liegt... Nachdem wir diese Schrecken der Nacht überwunden haben, gehen wir nach einem frühen Bad und nach dem Frühstück am nächsten Morgen Anker auf und segeln mit der Flut durchs Marsdiep nach Texel (Oudeschild). Am Tag drauf ist Wattenfahrt durchs Scheurak, durch OudeVlie, Inschot und Vliestrom angesagt. Wir begegnen dabei unzähligen holländischen Yachten und gaffelgetakelten großen Plattbodenschiffen. Auch viele deutsche Yachten sind unterwegs nach Vlieland oder Terschelling. Es herrscht hier grad so ein reger Betrieb wie sonntags auf der Elbe. Nach 40 sm laufen wir Terschelling an. Wir bestaunen West-Terschelling mit seinen hübschen Häusern, Gärten und Gassen und dem 400 Jahre alten Leuchtturm Brandaris. Ulrike will natürlich die höchste Düne nebendran besteigen. Und Klaus kann dafür die Aussicht genießen. Für den nächsten Tag errechnen wir, dass wir bei der gegenwärtigen Nipptide mit 1,55 m Tiefgang das Terschellinger Watt nicht befahren können. Schade, so kommen wir erst recht spät los und müssen mit kräftigen Umwegen ”außen rum”. Umwege und Fahrten gegen die Tide ergeben sich dabei zusätzlich, weil das direkte Fahrwasser zwischen dem Hafen von Terschelling und dem Seegatt trotz aller Baggerei versandet ist und nicht mehr befahren werden kann. Nachdem wir endlich das Seegatt und die davorliegenden Flachs (ohne Problem bei leichtem Wind und ohne Seegang) hinter uns gelassen haben, kann der ”Fliegende Stern” richtig loslegen: Wir haben jetzt die Tide mit uns und die nördlichen Winde erlauben gerade noch, Spinnaker zu fahren. Stundenlang rauschen wir mit 7 bis 8 Knoten an Terschelling, Ameland und Schiermonnikoog entlang. Bis in das Hubertgatt hinein hilft uns die Flut, schläft dann aber schließlich ein. Die Dämmerung mahnt zu den Vorbereitungen für die Nachtfahrt: Lichter, Radarreflektor, Hand- scheinwerfer, Taschenlampe, Schwimmwesten und Life-lines werden klariert. Karte, Standort und Kurs hatten wir (mit GPS und mit Hilfe der noch sichtbaren Fahrwassertonnen) sowieso auf aktuellem Stand. Schließlich haben wir nur noch das Leitfeuer Borkum, einige leuchtende Fahrwassertonnen, unsere eigenen Geräte und eine Restdistanz von 6 sm nach der Karte vor uns. Wir laufen jetzt unter Motor, die Ebbe schlägt uns in der Ems vor Borkum jedoch dermaßen kräftig entgegen, dass wir die Einfahrt zur beleuchteten Fischerbalje kaum erreichen. Eine unendlich scheinende Fahrerei beginnt. Erst Stunden nach Mitternacht nach insgesamt 86 sm können wir im Yachthafen Borkum festmachen und fallen erschöpft in die Kojen.

Da brauchts dann nach dem Ausschlafen erst mal einen Hafentag zur Erholung! Naja, die Insel wollen wir dann natürlich auch noch erkunden. Die folgenden Tagesreisen nach Norderney und dann nach Spiekeroog gehen wieder spät los und tidenbedingt ”außen rum”, mit reichlich Umwegen durch die Borkum und Juist vorgelagerten Riffe. Von Spiekeroog aus ist nach Tide und Wasserstand Wattenfahrt möglich: Die Flut schiebt uns die ”Alte Harle” rauf, am Wattenhoch müssen wir dann noch eine dreiviertel Stunde warten, bis das Wasser für uns reicht. Ein Hubkieler und ein Jollenkreuzer auf gleichem Kurs haben es da doch wesentlich leichter. Wir schaffen anschließend mit der gleichen Tide auch die Wattenfahrt hinter Wangerooge und passieren mittags die - Blaue Balje - zwischen Wangerooge und Minsener Oog.

Die Nordsee hat uns wieder! Sonniges und flaues Wetter lädt zu mehreren Badepausen ein; aber wir wollen und müssen die Elbe noch erreichen und deshalb auch reichlich motoren. Nur fürÂ’s Einholen einer Flaschenpost nehmen wir noch eine Verzögerung in Kauf. Eine 6- jährige ostfriesische Touristin erhält wunschgemäß eine schöne Postkarte von uns. In der Elbmündung haben wir endlich wieder nördlichen Wind. Spinnaker hoch! Und schon laufen wir mit 6 Knoten Fahrt weiter. Wir erreichen trotzdem erst weit nach Einbruch der Dunkelheit Cuxhaven (60 sm in 13 Stunden). Wir sind doch froh, wieder auf der schönen Elbe zu sein! Mit kurzen Törns und Stationen in Otterndorf und in Wischhafen klingt unsere Sommerreise aus und endet am 22. August nach 1114 zurückgelegten Seemeilen im Heimathafen Wedel.

 Eine Karte der Reise gibt es hier:

Statistik: Reisedauer: 35 Tage, davon 6 Hafentage. An den 29 Segeltagen sind wir 219,5 Stunden auf dem Wasser unterwegs gewesen, d.h. täglich 7,6 Stunden mit 39,7 sm im Durchschnitt.

Diesmal haben wir wetterbegünstigt ohne allzu große Anstrengungen England erreicht. Ein gutes und schnelles Seeschiff mit vernünftiger Ausrüstung hat es möglich gemacht. Die Tide will beachtet sein, sie bestimmt immer wieder Auslaufzeitpunkt und Törngestaltung, hilft bei richtiger Einteilung aber auch ordentlich mit, voranzukommen auf den Kursen in unsere europäischen Nachbarländer.